Grün-Weiße Kooperation in Oderland-Spree | KHSB-Projekt zu Sozialer Landwirtschaft in Brandenburg
Dass in Zukunft immer mehr Menschen pflegebedürftig sein werden, die Pflege aber zugleich unter einem immensen Fachkräftemangel leidet, ist bekannt – und ein Problem, dass uns alle wohl früher oder später betreffen wird. Eher weniger sind uns in der Großstadt die vielfältigen Herausforderungen von Landwirt*innen in Deutschland bewusst. Die Folgen des Klimawandels und steigende Weltmarktpreise – um nur zwei Faktoren zu nennen – sorgen nicht nur für höhere Lebensmittelpreise, sondern in den landwirtschaftlichen Betrieben für große Einkommensunsicherheit.
Hier setzt die Soziale Landwirtschaft als Möglichkeit an, Verbesserungen für beide Branchen und zum Nutzen für die zu pflegende Bevölkerung herbeizuführen. Man stelle sich vor: Auf einem Bauernhof leben einige Menschen mit Demenz in einer „Pflege-WG“. Einige von ihnen sammeln morgens Eier ein und füttern am Vormittag die Ziegen, während andere das eigene Hochbeet bepflanzen und am Nachmittag nochmal die Alpakas ausführen. Die Kombination von Sorge für Menschen, Pflanzen und Tiere schafft sinnstiftende Tätigkeitsfelder, die nicht nur für junge Menschen attraktiv sind, welche man für den Pflegeberuf gewinnen möchte. Für Landwirt*innen entsteht eine alternative, gesicherte Einnahmequelle durch Vermietung und ggf. weitere Dienstleistungen mit sozialer Anbindung an die Dorfgemeinschaft. Ein Ansatz, der im Flächenland Brandenburg mit seiner alternden Bevölkerung Potenzial haben kann.
Davon ist auch Annegret Huth überzeugt, die für die KHSB die Praxisforschungsstelle in Heinersdorf (Brandenburg) leitet. Seit Anfang 2025 befasst sich ihr Team im Modellprojekt „Grün-Weiße Kooperation in Oderland-Spree“ damit, wie die Kooperation zwischen Pflege („weiße Branche“) und Landwirtschaft („grüne Branche“) in der Region verbessert werden kann. Teil des Teams sind seit Februar 2025 auch Mareike König und Ronald Höhner als Wissenschaftliche*r Mitarbeiter*in. Die Praxisforschungsstelle ist daneben über die Transferinitiative AlterPerimentale und Prof. Dr. Cordula Endter in ein größeres Forschungsnetzwerk eingebunden. Ziel ist es, langfristig die Rahmenbedingungen für gute Lebensmodelle im Alter auf dem Land mit zu verbessern.
Während es in den Niederlanden, in Österreich und in Polen schon verhältnismäßig viele Angebote wie beispielsweise Pflegebauernhöfe für Menschen mit Demenz gibt, ist das Konzept in Deutschland noch relativ unbekannt. „In Brandenburg gibt es aktuell kein einziges Beispiel sozialer Landwirtschaft für ältere Menschen“, so Annegret Huth. „In Gesprächen haben wir aber bei vielen Landwirten und Landwirtinnen ein großes Interesse feststellen können. An anderen Regionen sehen wir außerdem, dass sich Beratungsangebote positiv auf die Anzahl der grün-weißen Kooperationen auswirken.“ Bevor also überhaupt konkrete Angebote etabliert werden können, liegt der Fokus darauf, Grundlagen zu schaffen: Das Team der Praxisforschungsstelle plant bis Ende 2026, im partizipativen Prozess ein Beratungs- und Vernetzungsangebot für Landwirt*innen und Soziale Träger aufzubauen, um den Kenntnisstand zu Sozialer Landwirtschaft zu verbessern. Gemeinsam mit Fachverbänden als Partner soll auf Landesebene in Ministerien und Verwaltung darauf hingewirkt werden, die Rahmenbedingungen für Soziale Landwirtschaft zu vereinfachen.
Aktuell stehen die Vernetzung der Forschungsstelle mit wichtigen Akteuren und die Etablierung gemeinsamer Arbeitsgemeinschaften oben auf der Agenda. Auf der Grünen Woche wurden Grundlagen für die Zusammenarbeit mit dem Bauernverband Brandenburg gelegt, es gibt erste Ideen für eine gemeinsame Veranstaltung. Die Einbeziehung von Wohlfahrtsverbänden ist ebenso wichtig wie die Kontaktaufnahme zu Verwaltungen. Vor allem letzteres ist aufgrund des akuten Personalmangels nicht ganz einfach. Und noch eine andere Herausforderung beeinflusst die Planung erster Beratungsgespräche mit Landwirt*innen vor Ort ganz konkret: „Landwirte und Landwirtinnen haben eigentlich nur im Winter Zeit. Neben aussäen, düngen und ernten müssen sie heutzutage eine riesige Bürokratie bewältigen. Landwirt zu sein, ist ein sehr komplexer Beruf“, weiß Annegret Huth aus Gesprächen im Rahmen des vorangegangenen Projekts zur Konzeptentwicklung. Trotzdem sehen viele in der Sozialen Landwirtschaft eine aussichtsreiche Chance zur Diversifizierung ihres Betriebs in der Zukunft.
Kein Angebot aber ohne Nachfrage. Deshalb ist ein weiteres Ziel des Projekts, auch die Öffentlichkeit für die Vorteile Sozialer Landwirtschaft zu sensibilisieren. „Soziale Landwirtschaft ist eine Chance, seinen Lebensabend wohnortnah zu verbringen“, so Annegret Huth, die als Landschaftsplanerin mit der Zusatzqualifikation „Gartentherapie für Senior*innen“ selbst praktische Einblicke an der Schnittstelle von Pflege und Gärtnern gewonnen hat: „Die Natur hat vielfältige positive Wirkungen auf Körper und Geist. Pflegebedürftige Menschen vergessen ihre Probleme für einen Moment und sind froh, in Gemeinschaft sinnstiftend tätig sein zu können.“ Es klingt fast zu schön, um wahr zu sein: Ein Ansatz, bei dem am Ende alle gewinnen – pflegebedürftige Menschen, Pflegefachkräfte, Landwirt*innen, die Gesellschaft vor Ort. Bis die Früchte geerntet werden können, die die Praxisforschungsstelle Heinersdorf in Oderland-Spree aktuell sät, werden aber noch einige Sommer ins Land ziehen.
Das Modellprojekt "Grün-Weiße Kooperation in Oderland-Spree" an der Praxisforschungsstelle Heinersdorf der KHSB wird gefördert aus Mitteln der Europäischen Union und des Landes Brandenburg.

Foto: AlterPerimentale